Anlässlich dieser Präsentation schrieb Kristina Schrei (Kuratorin, Hamburger Bahnhof) den nachfolgenden Begleittext:
Paula Doepfner, Death Letter Blues, 2020
I am myself
I am the enemy
Alone…
Diese drei Zeilen finden sich, von Hand geschrieben, auf einem Blatt Papier, in einen langsam schmelzenden Eisblock eingefasst. Es ist die künstlerische Arbeit Death Letter Blues, 2020, der Künstlerin Paula Doepfner, die nun am Rosa-Luxemburg-Platz im Freien aufgestellt ist. Das Zitat stammt aus dem Gedichtband „Déchirures“, 1955, der Dichterin Joyce Mansour (1928-1986), das Paula Doepfner in ihrer künstlerischen Installation bildhauerisch verarbeitet. Mansour wird gewöhnlich der Gruppe der französischen Surrealisten zugeschrieben. Die Dichterin, in England geboren, aus einer jüdisch-ägyptischen Familie stammend und später von Kairo nach Paris gegangen, steht aber für eine ganz eigene Sprachkunst. Sie schreibt aus einer weiblich-selbstbestimmten Perspektive, die Liebe, Gewalt, Tod und Lust vereint. Die drei Zeilen, die Paula Doepfner für ihre Arbeit ausgewählt hat, handeln vom Ich und vom Alleinsein.
Poesie und die künstlerischen Arbeiten von Paula Doepfner haben Vieles gemeinsam. Sie scheinen eine gemeinsame Sprache zu sprechen, die etwas Erzählerisch-Nahbares in sich trägt, aber nie einfach oder eindeutig zu verstehen ist. Dafür ist ihre Sprache zu mannigfaltig und im ständigen Fluss der Veränderung. Doepfner scheint vor allem das Nicht-Permanente, Nicht-Erstarrte, und viel eher das in Form und Bedeutung Fließende zu interessieren. Text ist dabei eines ihrer bevorzugten Materialien, wobei die Textform oft, aber nicht ausschließlich Lyrik sein kann. Wie unterschiedliche Materialien und Stoffe verarbeitet Doepfner auch verschiedenartige Textformen, darunter philosophische und wissenschaftliche Texte, genauso wie Musiksongs. Aber auch das „Istanbul-Protokoll“ der UN zur Investigation und Dokumentation von Folter hat Doepfner schon in einer Arbeitsreihe zu Papier gebracht; in feiner, kleinstmöglicher Schrift mit Hand geschrieben, von der Ferne kaum zu dechiffrieren. Die zersprungenen Glasscheiben anderer Arbeiten wiederum, die Pigmente und getrocknete Blumen so zart einschließen, stammen von Gebäuden aus Berlins Kreuzberg, die zum Austragungsort anti-kapitalistischer Auseinandersetzungen wurden. So wirken Doepfners Arbeiten oft: auf den ersten Blick abstrakt und voller ästhetischer Schönheit. Bei langsamer Annäherung und näherer Betrachtung aber entfaltet sich eine weitere Dimension, die sich auf tragische politische Realitäten bezieht.
Auch in der hier gezeigten Arbeit Death Letter Blues werden Zeit und Vergänglichkeit motivisch aufgerufen. Wie für die Ewigkeit als Skulptur gehauen, ragt der Eisblock am Rosa-Luxemburg-Platz empor. Im Inneren stehen Mansours Zeilen „I am myself. I am the enemy. Alone…“, die ebenfalls zeitentrückt sind. Doch die Arbeit, der Eisblock, wird freilich aus physikalischer Bedingtheit her schmelzen müssen. Es gibt zu keinem Zeitpunkt einen Moment, an dem die Arbeit sich nicht im Prozess der Veränderung befindet. Die Präsenz der Arbeit verändert sich mit dem Schmelzen des Eises, wenn sich der Block als fließendes Wasser in einer metallenen Wanne sammelt und die Textzeilen von der Oberfläche langsam auf den Grund sinken. Diese Vergänglichkeit zuzulassen, explizit zum Inhalt ihrer Kunst zu machen, spricht für Doepfners künstlerische Stärke. Bildsprache, Textsprache und Formsprache fließen bei der Künstlerin ineinander zu einem poetischem Werk. Es ist der Wandel, die Transformation, das Morphen von Gegenwart zu Vergangenheit, die Doepfners Aufmerksamkeit finden. Paula Doepfner hat keine Angst vor dem vergänglichen Kunstwerk. Ihre Arbeiten brauchen keinen Anspruch auf Ewigkeit zu stellen, um ihre Wirkkraft zu entfalten und bei uns, den Betrachterinnen und Betrachtern, noch lange nachzuhallen.
Text: Kristina Schrei